Liebe Gemeinde,
der Predigttext für den heutigen Sonntag steht im 1. Johannesbrief im 4. Kapitel:
„Und wir haben erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat.
Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. Darin ist die Liebe bei uns vollkommen, dass wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts; denn wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt. Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht rechnet mit Strafe. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe.
Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, der kann nicht Gott lieben, den er nicht sieht. Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.“
Liebe Gemeinde,
Liebe ist überall. Fällt das Wort Liebe, dann überkommt uns sofort ein Strom von Bildern – Menschen, Situationen, Filmausschnitte, Lieder. Zu diesen Bildern gesellen sich all die Gefühle – Dankbarkeit, Schmerz, bittersüße Melancholie, Sehnsucht. Dieser Strom aus Bildern und Gefühlen, er beginnt zu fließen auch beim Hören des heutigen Predigttextes und weckt jene Sehnsucht. Wenn es doch so wäre! Wenn ich doch die Liebe Gottes spüren könnte. Ihre unwiderstehliche Kraft, die mich frei macht von der Furcht, die des Nachts an meinem Bett hockt. Die mich frei macht zur Liebe gegenüber den Mitmenschen. Die Liebe gegenüber dem Mitmenschen, die ihm seine Freiheit von Furcht und Bedrängnis zugesteht. Oder einfacher gesagt, so wie vor kurzem ein Moslem zu mir meinte, als ich ihm wortreich versuchte zu erklären, dass wir bei der Diakonie allen helfen – Unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, Alter, finanzieller Situation und Religion: „Also, ihr helft Menschen.“, war seine Bemerkung. Die Liebe, die mich im anderen erkennen lässt, was er ist: Ein Mensch. Wie gerne wäre ich dazu befreit. Die Bibel sagt uns das, sie erklärt es nicht. „Gott ist die Liebe.“ – das ist die grundlegende Voraussetzung, hinter die geht es nicht zurück. Und all das, was uns erzählt wird in der Bibel, dass steht unter dieser Überschrift. „Gott ist die Liebe.“ – das wird nicht erklärt, denn es ist ja letztlich nicht zu erklären. Wie sollte man das auch erklären? Es kann immer wieder nur auf die Geschichten zugegangen werden, die uns von dieser Liebe erzählen – die Herausführung des Volkes Israel aus der Sklaverei in die Freiheit, das Sterben und die Auferstehung Jesu Christi, seines Sohnes, aber auch der Zorn Gottes über Ungerechtigkeit.
Am Anfang und Ende dieser Geschichte steht „Gott ist die Liebe.“
Ich will heute Morgen auch nicht erklären. Wie schwer ist es auch die Liebe Gottes und die Liebe unter uns Menschen zu „erklären“. Am Ende steht dann doch die große Gefahr in moralischen Appellen zu enden, die mancher scharfer Kritiker unter dem Stichwort „Na, dann habt euch mal alle ganz doll lieb.“ zusammenfassen würde. Dazu kommt, dass es Frühsommer ist. Die Natur lädt uns ein, hinaus zu gehen und zu entdecken. So, möchte ich es heute Morgen mit Ihnen auch machen. Keine Erklärung, sondern eine Einladung zu einem kleinen Spaziergang durch Gedichte, die unseren Strom aus Bildern und Gefühlen beim Wort „Liebe“ mit Worten umkleiden. Worte und Bilder finden für das „Gott ist die Liebe.“ Jener Sehnsucht nach dem „Gott ist die Liebe“ Worte geben, die uns fehlen.
1. Block:
Weil ich dich liebe, muß ich fliehend
Dein Antlitz meiden – zürne nicht!
Wie paßt dein Antlitz, schön und
blühend,
Zu meinem traurigen Gesicht!
Weil ich dich liebe, wird so bläßlich,
So elend mager mein Gesicht –
Du fändest mich am Ende häßlich –
Ich will dich meiden – zürne nicht!
(Heinrich Heine)
Maß der Liebe
Wie Du mir nötig bist? Wie Trank und Speise
Dem Hungernden, dem Frierenden das Kleid,
Wie Schlaf dem Müden, Glanz der Meereseise
Dem Eingeschloßnen, der nach Freiheit schreit.
So lieb ich Dich. Wie dieser Erde Gaben
Salz, Brot und Wein und Licht und Windeswehen,
Die, ob wir sie auch bitter nötig haben,
Sie doch nicht allezeit von selbst verstehen.
Und tiefer noch. Denn auch die ungewissen
Und fernen Mächte, die man Gott genannt,
Sie drangen mir zu Herzen mit den Küssen,
Den Worten Deines Mundes und die Blüte
Irdischer Liebe nahm ich mir zum Pfand
Für eine Welt des Geistes und der Güte.
(Marie Luise Kaschnitz)
Der, den ich liebe
Hat mir gesagt
Daß er mich braucht.
Darum
Gebe ich auf mich acht
Sehe auf meinen Weg und
Fürchte von jedem Regentropfen
Daß er mich erschlagen könnte.
(Bertolt Brecht)
EG 409, 1-3
Von der Freundlichkeit der Welt
1
Auf die Erde voller kaltem Wind
Kamt ihr alle als ein nacktes Kind.
Frierend lagt ihr ohne alle Hab
Als ein Weib euch eine Windel gab.
2
Keiner schrie euch, ihr wart nicht begehrt
Und man holte euch nicht im Gefährt.
Hier auf Erden wart ihr unbekannt
Als ein Mann euch einst nahm an der Hand.
3
Von der Erde voller kaltem Wind
Geht ihr all bedeckt mit Schorf und Grind.
Fast ein jeder hat die Welt geliebt
Wenn man ihm zwei Hände Erde gibt.
(Bertolt Brecht)
Man oh Man
Man ist nur so jung
wie man sich fühlt.
Man denkt nur so tief
wie man sich wühlt.
Man kriegt nur so viel
wie man sich gibt.
Man lebt nur so lang
wie man sich liebt.
(Robert Gernhardt)
Liebeslied
Wie soll ich meine Seele halten, daß
sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie
hinheben über dich zu andern Dingen?
Ach gerne möchte ich sie bei irgendwas
Verlorenem im Dunkel unterbringen
an einer fremden stillen Stelle, die
nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen.
Doch alles, was uns anrührt, dich um mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.
Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Spieler hat uns in der Hand?
O süßes Lied.
(R.M. Rilke)
EG 409, 4-6
Liebe
Wenn wir uns nicht mehr haben und uns sehnen,
dann ist’s, als hätten wir uns endlich ganz.
Doch wenn wir nahe sind und uns geborgen wähnen,
verdunkelt sich die Lust, verblaßt der Glanz.
Die Ferne ist es nicht und nicht die Nähe.
Ach, immer lebt das Innigste allein.
Laß uns, wie gut es auch, wie schlimm es um uns stehe,
laß uns barmherzig zueinander sein!
(Manfred Hausmann)
Trennungslied (Peter Licht)
Klausi trennt sich von Bibsi
Babsi von Hans
Berta trennt sich von Pelle
Berti tritt an die Stelle
aber mögen tun sie sich weiter
vielleicht etwas weniger heiter
Pelle muß nochmal raus auf die Wiese
und sieht dort dann Luise
die trennt sich grade von Heiner
der findet das erheblich gemeiner
als seine Trennung von Iris
die schon ne Zeit lang her is
und Oticha
und Herwig
man trennt sich einverständlich
Otichaaaa
ein wenig einverständlichaaa
Hauptsache wir sitzen am Ende alle im selben Heim
denn ohne all die anderen Getrennten möchten wir nicht alleine sein
Rainer definiert die Bestände
und er kann sich nicht entscheiden
Jürgen trennt sich darum von Rainer
und Rainer ist auf einmal alleiner
-als vorher
Andrea und Mark trenn´sich schon seit Jahren
jetzt werden sie langsam müde
Werner und Ulla sind da schneller
Werner liebt parallel Hella
Von irgendwem trennt sich Leander
das bringt ihn ganz durcheinander
aber irgendwie der Leander!
Sieh da auch wieder bleibt er
Nur Silke und Sören
hamm nix zum entstören
sie werden sich trennen
bevor sie sich kennen
Hauptsache wir sitzen am Ende alle im selben Heim
denn ohne all die anderen Getrennten möchten wir nicht alleine sein
Petra heißt jetzt Hedwig
sonst ändert sich wenig
Norbert sieht aus wie Alfred
und Günther heißt Stephan
Rita trennt sich wieder mal von Thorsten
Thorsten sträubt seine Borsten
demnächst sind sie dann wieder zusammen
zusammen in Flammen
Mirijam hat niemandan
den sie verlassen kann
also trennt sie sich von sich
warum auch nicht
Hauptsache wir sitzen am Ende alle im selben Heim
denn ohne all die anderen Getrennten möchten wir nicht alleine sein
ohne all die anderen Getrennten möchten wir nicht sein
Hauptsache wir sitzen am Ende alle im selben Heim ein.
Die Liebe
Die Liebe
sitzt in der Sonne
auf einer Mauer und räkelt sich
für jeden zu sehn
Niemand hat sie gerufen
niemand könnte sie wegschicken
auch wenn sie störte
Woher kam sie als sie kam?
Man sieht selbst die Katze kommen
oder ein Gedicht auf dem Papier
Und der dunkelfüßige Traum
stellt sich nicht aus
Die Mauer ist leer
wo die Liebe saß
Wohin ging sie als sie ging?
Selbst der Tod, selbst die Träne
läßt eine Spur
(Hilde Domin)
EG 409, 7-8:
Hoffnung
Wer hofft
ist jung
Wer könnte atmen
ohne Hoffnung
daß auch in Zukunft
Rosen sich öffnen
ein Liebeswort
die Angst überlebt
(Rose Ausländer)
Ein Gebet in der Erschöpfung
Mein Gott, ich liebe Dich nicht,
ich begehre es nicht einmal,
ich langweile mich mit Dir.
Vielleicht glaube ich nicht einmal an Dich.
Aber sieh mich an, im Vorübergehen.
Tritt für einen Augenblick ein in meine Seele,
ordne sie mit einem Hauch,
ohne dass ich den Luftzug spüre,
ohne mir etwas zu sagen.
Wenn Du möchtest, dass ich an Dich glaube,
dann bewirke in mir den Glauben.
Wenn Du möchtest, dass ich Dich liebe,
dann bewirke in mir die Liebe.
Ich selbst habe sie nicht
und kann nichts dafür.
Ich gebe Dir, was ich habe:
meine Schwäche und mein Schmerz.
Und diese zärtliche Liebe, die mich quält
und die du wohl spürst…
Und diese Verzweiflung…
Und dieses aufgeschreckte Schamgefühl …
Mein Leid, nichts als mein Leid …
Das ist alles!
Und meine Hoffnung!
(Marie Noel)
(Predigt 06.VI.2010 (I.n.Tr.): I.Joh 4, 16b-21)
(Die Lesung der Gedichte übernahm dankenswerter Weise eine befreundete Schauspielerin)
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